Wer einen demenzerkrankten Angehörigen pflegt, weiß, das ist kein Sprint.

Angehörigenpflege ist ein Marathon. Also einer, der noch nicht nach 42,195 Kilometern zu Ende ist. Einer für den man in der Regel nicht trainiert hat. Einer, bei dem nicht der oder die Schnellste gewinnen wird.

Daher gehört der Demenzmoment im April dem Thema Entspannung. Denn nur so können Sie trotz Angehörigenpflege gesund bleiben und aus vollem Herzen leben.

 

Pflegende Angehörige: Entspannen will gelernt sein

Zahlen, Daten, Fakten

Das Statistische Bundesamt schreibt von 4,1 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland, also Menschen, die ganz offiziell einen Pflegegrad erhalten haben. (Onkel Alfons und Tante Inge, die sich seit Jahren so durchwurschteln, werden in dieser Statistik nicht erfasst. Wie auch?)

Das Bundesministerium mit den vielen Buchstaben (BMFSFJ = Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), das neben dem Gesundheitsministerium in Deutschland zuständig ist, hat ermittelt, dass 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt werden. Immerhin 3.280.000 Menschen. Meistens erfolgt die Pflege durch pflegende Angehörige. Nicht immer unterstützt sie dabei ein ambulanter Pflegedienst.

Doch auch die etwa 800.000 Bewohnerinnen und Bewohner in den Pflegeheimen werden häufig noch weiterhin von Angehörigen unterstützt. Man hört noch lange nicht auf, pflegender oder zumindest begleitender Angehöriger zu sein. Oft besuchen die Angehörigen ganz regelmäßig, sorgen für die notwendigen Arztbesuche und dafür dass der oder die Demenzkranke auch mal wieder nach draußen kommt oder unterstützen beim Anreichen der Mahlzeiten.

Unverhofft kommt oft

Kaum ein Mensch bereitet sich darauf vor, pflegebedürftig oder pflegender Angehöriger zu werden. Und was den Part des Kümmerers oder besser der Kümmerin betrifft, so sind es häufig Frauen, die diese Aufgabe übernehmen. Ganz klassisch neben dem bisschen Haushalt, das sich angeblich von allein macht. Schauen Sie bei Gelegenheit gerne mal in meinen allerersten Blogartikel, den ich der Pflegearbeit der Frauen gewidmet habe.

Und weil die Pflegebedürftigkeit der Älteren meist um das 80. Lebensjahr herum zunimmt, sind es in der Regel die Töchter und Schwiegertöchter, die im Alter zwischen 40 und 65 mit ihren Lebenshüten jonglieren, um allen Rollen gerecht zu werden.

 

Im Job möchte man noch nicht zum alten Eisen gehören. Dranbleiben heißt, sich weiterbilden, die Entwicklungen im Unternehmen oder der Gesellschaft zu verfolgen und – falls Sie perfektionistisch veranlagt sind, doch wenigstens immer 120 Prozent zu geben.

Gleichzeitig merkt man, dass die eigene Gesundheit kein „Geschenk des Himmels“ mehr ist, sondern Aufmerksamkeit benötigt.

Eigentlich würde man viel mehr Zeit mit den Kindern oder Enkeln verbringen.

Eine erfüllte Partnerschaft braucht Zeit und Aufmerksamkeit (und kann dann ja auch wiederum eine wunderbare Kraftquelle sein).

Um die demenzerkrankten Eltern zu versorgen, braucht man jede Menge neues Wissen über die Krankheit, die Diagnose und den richtigen Umgang mit problematischen Verhaltensweisen und die rechtlichen Aspekte der Erkrankung.

Manchmal kommt noch die Sorge um den nicht erkrankten Elternteil, der sich selbst mit der Partner*innen-Pflege völlig überlastet, hinzu.

Und schon sieht man sich mit einem weiteren Lebenshut konfrontiert. Wer hier nicht aufpasst, fällt aus der Töchter-Rolle und wird zur Pflegekraft oder mindestens Pflegemanagerin.

„Pötzlich muss ich meine Eltern bemuttern“, sagen Pflegende dann häufig.

Um so schneller geschieht das, wenn die Eltern nicht vorgesorgt haben und selbstbestimmte Entscheidungen zur Versorgung im Falle der Pflegebedürftigkeit getroffen haben. Oder wenn sie tatsächlich meinen, es wäre ja die Pflicht der Kinder, die Pflege zu übernehmen.

Statt entspannt auf der Couch zu lümmeln, tolle Reisen zu unternehmen oder aktiv für die eigene Gesundheit unterwegs zu sein, klopft permanent das schlechte Gewissen an, weil die To-Do-Liste immer länger und der eigene Energie-Akku immer schwächer wird.

Entspannen will gelernt sein

Um dieses Hamsterrad zu verlassen, kann die Not-To-Do-Liste für pflegende Angehörige eine allererste Möglichkeit sein. Aufgaben, die nicht nötig sind, werden gestrichen. 80 Prozent sind schon fast hundert! Und ungeliebte Arbeiten dürfen an andere Familienmitglieder oder professionelle Pflegedienste delegiert werden.

„Wissen tue ich‘s schon, aber die Umsetzung ist das andere.“

Das schrieb mir Peggy Elfmann, die in Ihrem Blog Alzheimer und Wir über den Umgang Ihrer Familie mit der Demenzerkrankung Ihrer Mutter berichtet.

Nun könnte man denken, damit wäre man als pflegende Angehörige am Ziel. Zeitfenster gefunden. Und Zack! Entspannen! So einfach ist das leider nicht. Vor allem, wenn die Überlastungssituation schon länger besteht, muss Entspannen erst wieder gelernt sein.

Und schon bieten sich die üblichen Verdächtigen an:

  • Autogenes Training
  • Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen (PMR)
  • Yoga
  • Chi Gong
  • Meditation

Probieren Sie aus, was für Sie passt. Für alle diese Entspannungstechniken benötigen Sie eine gewisse „Lernkurve“, also Zeit, um zu trainieren bis es mit dem Entspannen wirklich klappt. Vielleicht haben Sie einige Techniken bereits im Rahmen eines Präventionskurses Ihrer Krankenkasse kennengelernt. Nutzen Sie das, was bei Ihnen funktioniert und akzeptieren Sie, dass Sie für einige dieser Angebote nicht der richtige Typ sind.

Ich kann beispielsweise mit Autogenem Training gar nichts anfangen und nutze PMR (langweilig!) nur als Einschlafhilfe. Yoga und Chi Gong mag ich, würde dafür aber am liebsten in einen Kurs gehen … der dann wieder zu meinen restlichen Terminen passen muss. Immerhin könnte ich dieses Zeitfenster priorisieren und hätte damit eine feste ME-Time (also eine Zeit für mich) gefunden.

Meditationen mag ich ganz gern – aber sie funktionieren bei mir im Moment überhaupt nicht. Ich bin dazu viel zu hibbelig und kribbelig. Vielleicht brauche ich erst mal eine Entspannungsübung, um mich entspannen zu können??? Und plötzlich – Hilfe! – fühlt sich das alles nach Entspannungsstress an.

Demenz Entspannung im Alltag

Mini-Entspannung für Pflegende: Einfach nur sitzen?

Ich will einfach nur sitzen! Genau wie Loriots Hermann. Den kennen Sie sicher auch.

Berta: „Herrmann?“
Hermann: „Ja?“
Berta: „Was machst du da?“
Hermann: „Nichts.“
Berta: „Nichts? Wieso nichts?“
Hermann: „Ich mache nichts.“
Berta: „Gar nichts?“
Hermann: „Nein.“
Berta: „Überhaupt nichts?“
Hermann: „Nein, ich sitze hier.“
Berta: „Du sitzt da?“
Hermann: „Ja.“
Berta: „Aber irgendwas machst du doch!“
Hermann: „Nein.“
Berta: „Denkst du irgendwas?“
Hermann: „Nichts besonderes.“
Berta: „Es könnte ja nicht schaden, wenn du mal etwas spazieren gingest!“
Hermann: „Nein, nein.“
Berta: „Ich bringe dir deinen Mantel.“
Hermann: „Nein, danke.“
Berta: „Aber es ist zu kalt ohne Mantel!“
Hermann: „Ich geh ja nicht spazieren.“
Berta: „Aber eben wolltest du doch noch!“
Hermann: „Nein, du wolltest, daß ich spazieren gehe!“
Berta: „Ich meinte nur, es könnte dir nicht schaden, wenn du mal spazieren
gehen würdest.“
Hermann: „Nein, nein, schaden könnte es nicht.“
Berta: „Also was willst du denn nun?“
Hermann: „Ich möchte hier sitzen!“

Manchmal übernehmen wohlmeinende Freunde die Rolle der Berta, manchmal ist es unser eigener innerer Antreiber. Mein Rat an Sie, bleiben Sie ruhig sitzen. Sitzen ist Entspannung. Sie müssen gar nichts. Gar nichts müssen ist nämlich entspannend.

Wenn Sie lange genug „nichts Besonderes“ gedacht haben, kommt vielleicht eine kleine Idee daher, was Ihnen wirklich guttut. Nicht weil man das so macht und es im Entspannungskatalog empfohlen wird, sondern weil schon der Gedanken daran ihren ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubert.

Überraschenderweise sind es die kleinen Dinge des Alltags, in denen ich Entspannung wirklich spüren kann.

  • Wenn ich samstags über den Markt schlendere, mit den Händlern plaudere und mit frischen, regionalen Zutaten im Körbchen nach Hause gehe – und später ein leckeres, gesundes Essen daraus koche, ist das für mich schöner als jede Fantasie-Reise.
  • Wenn ich eine kurze Runde durch meinen Garten gehe, dabei hier ein bisschen gieße, da ein paar welke Blättchen abzupfe, Vögel oder Insekten beobachte und irgendwo einen neuen Pflanzen-Spross entdecke, dann fühle ich mich mit der Natur verbunden und daran erinnert, dass alles Leben ein Kreislauf ist.
  • Wenn ich einen Song oder ein klassisches Musikstück höre, das mir gefällt und ich Titel und Interpret herausfinde und damit meine Lieblingsplaylisten ergänze.

Welche Mini-Entspannungen könnten das in Ihrem Alltag sein? Schreiben Sie Ihre Idee gerne unten in die Kommentare. So können wir alle voneinander lernen.

 

Wie Pflegende die richtige Entspannung finden

Midi-Entspannung: Darf`s etwas mehr und mal etwas anderes sein?

Ich denke hier, an die kleinen Auszeiten, für die die Pflege nicht komplett umorganisiert werden muss. Kleine Auszeiten, die regelmäßig, am besten wöchentlich ohne großen Aufwand stattfinden können.

Am Beginn der Erkrankung kommt Ihr Angehöriger dann sicher auch einmal alleine zurecht. (Kein Problem, wenn dadurch sein Abendessen nicht perfekt ist. Man kann Pellkartoffeln durchaus auch einmal mit Schale essen oder einfach kalte Würstchen aus dem Kühlschrank.)

Bei einer fortgeschrittenen Demenz werden Sie vielleicht die Pflegeaufgaben einer anderen Person oder dem Pflegedienst anvertrauen müssen. Ach, Ihr Angehöriger möchte das aber nicht? Für wen entscheiden Sie sich dann?    Verzichten Sie auf Ihre Me-Time und auf Ihre Entspannung, nur um im Moment Ihre Ruhe zu haben und ihrem demenzkranken Angehörigen nichts zumuten zu müssen? Oder können Sie klar formulieren, dass sie die Zeit für sich brauchen, um weiterhin eine gute Begleiterin zu sein.

Unabhängig davon, ob Ihr demenzerkrankter Angehöriger Sie versteht – wenn Sie klar auftreten, ist es viel leichter, Grenzen zu setzen.  Auch das ist ein Lernprozess – versuchen Sie es immer wieder – und seien Sie gnädig mit sich selbst, wenn Sie doch wieder einmal um des liebe Friedens willen nachgegeben haben. Aber bitte tun Sie das nicht zu oft.

Ich bin ein Farbenmensch. Ich liebe Farben und ich liebe den Prozess des Malens oder Zeichnens. Das entspannt mich ungemein. Das Ergebnis ist dabei eher zweitrangig. Ja, es sind schon schöne Bilder entstanden, aber viel öfter ist das Bild hinterher so „naja“ und verschwindet in einer Mappe oder im Papierkorb. Wichtig für mich ist, dass ich für zwei oder drei Stunden den Alltag komplett ausgeblendet hatte und ganz bei mir selber war.

Dabei bin ich durchaus wählerisch. Einen Kurs habe ich nur ein einziges Mal besucht, weil die Kursanleiterin der VHS ununterbrochen redete. Das muss ich nicht haben. Ein anderes Mal (anderer Kurs) malte die Kursleiterin ungefragt in mein Bild hinein, um etwas zu korrigieren. Huch! Das geht gar nicht!

Was gut funktioniert und was mir Freude und Entspannung gibt sind

  • Ausdrucksmalerei. Das ist „eine bildnerische Art der Begegnung mit sich selbst, Ressource, Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung, Neuentdeckung ungeahnter oder vergessener Potentiale, Spurensuche, Kraftquelle, Jungbrunnen, Spielwiese.“ schreibt meine Lieblings-Ausdrucksmalerin Irene.
  • Neurographik. Im letzten Jahr habe ich die Neurographik für mich entdeckt und dazu einige Kurse belegt. Im April habe ich den Spezialistenkurs abgeschlossen und darf damit die Methode bei Bedarf auch in meinen Coachings einsetzen.

Diese beiden „Maltechniken“ ersetzen oder ergänzen also die herkömmlichen Entspannungstechniken wunderbar. Genauso gut können aktive Sportarten die Entspannung unterstützen. Schwimmen oder Wandern beispielsweise.

Demenz Entspannung im Urlaub

Maxi-Entspannung: Auch pflegende Angehörige müssen mal raus aus dem Alltag

Am besten funktioniert so eine große Auszeit für pflegende Angehörige, wenn der Akku noch nicht völlig leer ist. Natürlich kann man nach Griechenland fliegen und dann einfach nur sitzen, oder meinetwegen am Strand liegen.

Besser ist es auf jeden Fall, man bringt genügend Restenergie mit (siehe Mini- und Midi-Entspannung) um Lust auf den Urlaubsort zu haben und mit allen Sinnen genießen zu können, was der Ort bietet. Ohne dabei in Hektik zu verfallen. Alles kann und nichts muss.

Und Luxus darf sein. Fahren wir an die Ostsee, dann will ich das Meer von der Ferienwohnung aus sehen, schließlich kann ja das Wetter schlecht sein und ich will einfach nur sitzen. Letztes Jahr auf Usedom fanden wir eine Ferienwohnung, wo wir das Meer sogar vom Bett aus sehen konnten. Ein bisschen dekadent – aber schön 🙂

Essen im Hotel, selber kochen oder Essen gehen – genaue Tagespläne, geführte Touren oder sich treiben lassen – das volle Wellnessprogramm oder Kultur – alles gemeinsam oder auch mal getrennt … das sollte man vorher mit seinen Mitreisenden klären. Und als pflegende Angehörige haben Sie einen gewaltigen Erholungsbedarf, deshalb rate ich Ihnen, nicht zu viele Kompromisse zu machen und im Zweifelsfall getrennte Unternehmungen zu planen. Während er eine Tagestour mit dem Treckingrad unternimmt, gehen Sie gemütlich in die Sauna, zur Maniküre oder lesen einfach einen ganzen Nachmittag gemütlich am Kamin. 

Um wirklich abschalten zu können, ist es wichtig, dass Sie die Pflege zu Hause gut abgesichert haben. Egal ob ein anderes Familienmitglied die Betreuung übernommen hat oder Ihr Angehöriger in einer Kurzzeitpflege untergebracht ist – wenn die Gedanken ständig um die Pflege zu Hause kreisen, bleibt die Entspannung auf der Strecke.

Selbstfürsorge und Entspannung sind notwendig, um gestärkt zur nächsten Runde Ihres Pflegemarathons anzutreten. Lässt sich das „schlechte Gewissen“ nicht in den Urlaub schicken, dann können Sie sich professionelle Hilfe holen.

Im Mai startet mein Mini-Coaching „Ich pflege Dich und sorge für mich“ für Frauen mit Pflegeverantwortung. Am besten, Sie melden sich für meinen Newsletter an und erfahren in der nächsten Woche mehr darüber.

 

Demenz-Beratung to go

Regelmäßige Auszeiten sind für pflegende Angehörige besonders wichtig, damit sie selbst gesund bleiben.

  • Auch kleine, besondere Unternehmungen im Alltag tun gut.
  • Es gibt viele Arten, sich zu entspannen. Finden Sie eine, die Ihnen Freude bereitet.
  • Und auch der große Urlaub darf sein –  sorgen Sie dafür, dass er Ihnen gut tut.
  • Und manchmal will man eben „einfach nur sitzen“. Das ist völlig in Ordnung.

Pflegezeit ist Lebenszeit.

Ihre Demenzberaterin

Demenzberaterin Eva Helms