Geächtnistraining wird bei Demenz häufig nachgefragt. In unserer Gesellschaft scheint kognitive Leistungsfähigkeit mehr als alles andere den Wert eines Menschen zu bestimmen.
Gerade nach der Diagnose wollen die Betroffenen und ihre Familien so viel Normalität wie möglich erhalten.
Richtig angewendetes Gedächtnistraining bringt dabei nicht nur positive Effekte für das Kurzzeitgedächtnis sondern auch für Alltagskompetenz und Lebensqualität.
Kurzzeitgedächtnis und Arbeitsgedächtnis
Kurzzeitgedächtnis und Arbeitsgedächtnis spielen in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Auch wenn wir das gar nicht so bewusst wahrnehmen solange alles funktioniert:
Wir merken uns die Ziffernfolge einer Telefonnummer (Kurzzeitgedächtnis), mithilfe des Arbeitsgedächtnises können wir die Zahlenfolge aufschreiben.
Wir merken uns den Betrag, denn uns die Verkäuferin nennt. Dank des Arbeitsgedächtnissen können wir 12,35 Euro passend zahlen, sofern wir das entsprechende Kleingeld in der Geldbörse haben.
Wir hören eine Aufforderung, zum Beispiel „Könnten Sie bitte das Fenster schließen?“ (Kurzzeitgedächtnis) und können sie unmittelbar befolgen (Arbeitsgedächtnis).
Wir können einen Text lesen (Kurzzeitgedächtnis) und den Inhalt erfassen (Arbeitsgedächtnis).
Das Kurzzeitgedächtnis ist permanent im Einsatz. Die Informationen bleiben jedoch nur etwa 30 Sekunden im „Kurzzeitspeicher“. Weil die Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses begrenzt ist, werden alte Informationen gefiltert und gelöscht, sobald neue hinzukommen.
Durch die krankheitsbedingten Veränderungen im Gehirn wird sowohl bei Alzheimer-Demenz als auch bei vaskulärer Demenz das Erinnerungsvermögen gestört. Bei den meisten Erkrankten sind Ausfälle des Kurzzeitgedächtnisses die ersten Anzeichen für den Erkrankungsprozess gewesen.
Auch die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt. Wir können nur 5-9 Elemente gleichzeitig speichern. Das Arbeitsgedächtnis speichert jedoch nicht nur Informationen, es manipuliert und transformiert sie auch.
Seine Fähigkeiten ermöglichen es uns, die Elemente, die wir in unserem Gehirn benötigen, zu behalten, während wir eine bestimmte Aufgabe ausführen. Es hilft uns, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen.
- Sie können sich einen Kaffee kochen, während sie einer Person am Telefon Fragen beantworten.
- Sie planen den Wochenendeinkauf, während sie im Fernsehen eine Sendung sehen.
- Fun Fact: Die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses erklärt, warum es so schwierig ist, sich an die Melodie eines Lieds zu erinnern, während man ein anderes hört.
Das Arbeitsgedächtnis bringt neue Erfahrungen mit bekanntem Wissen in Verbindung. Es ermöglicht uns zu lernen. Das Arbeitsgedächtnis ist auch wichtig für die Entscheidungsfindung.
Demenzbedingt geht auch die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, verloren. Schon lange sagt meine Mutter im Restaurant zu mir: „Ich nehme das Gleiche, was du nimmst.“ Pflegekräfte werden geschult, Menschen mit Demenz nicht zu viele Optionen gleichzeitig anzubieten: „Wollen Sie zum Frühstück Tee, Kakao, Saft oder Kaffee? Kaffee schwarz oder Kaffee mit Milch?“ – Vermutlich wird die Person in diesem Falle völlig überfordert antworten „Mit Milch“ oder einfach nur „Ja“.

Ist es etwa gut, Dinge wieder zu vergessen?
Etwa 90 Prozent der Informationen, die wir aufnehmen, vergessen wir wieder.
Das ist auch sinnvoll. Stellen Sie sich vor, sie stehen an einer befahrenen Straße an der Fußgängerampel, weil Sie mit dem Zug zu Tante Erna fahren wollen:
- Sie haben den Taster betätigt, der Ihre Ampel auf Grün schaltet. Das sollten Sie sich kurzzeitig merken, damit sie nicht dauernd drücken, aber langfristig ist es eher nicht relevant.
- Sie sehen, dass die Frau neben Ihnen einen seltsamen Hut trägt. Vergessen Sie’s!
- Sie erschrecken, weil ein Auto hupt. Doch es hat nichts mit Ihnen zu tun. Vergessen Sie’s!
- Sie hören einen Teil der Unterhaltung vorübergehender Passanten. Kein Grund sich etwas davon zu merken.
- Da kommt das neueste Modell ihrer Lieblingsautomnarke in knalligem Rot. Wollen Sie sich daran erinnern? Ihre Entscheidung!
- Ihre Ampel schaltet endlich auf Grün. Aha! Aber müssen Sie sich das für immer merken?
- Sie sind auf der anderen Straßenseite angekommen. Sie wollen mit dem Zug zu Tante Erna fahren. Gut, dass diese Information im Langzeitgedächtnis gespeichert ist.
Nur wenn Ihr Gehirn eine Information als wichtig einstuft, wird sie ins Langzeitgedächtnis überführt. Würden wir uns alle Details merken, wäre unser Gehirn hoffnungslos überlastet. Wichtig ist also das richtige Aussortieren unwichtiger Informationen.
Kurzzeitgedächtnis und Arbeitsgedächtnis funktionieren dabei wie eine Eingangshalle zum Langzeitgedächtnis. Nur 10 Prozent der Informationen werden für so wertvoll befunden, dass sie den Weg dahin schaffen.
Ist Vergesslichkeit schon Demenz?
Wenn Sie immer wieder Dinge verlegen, Termine oder Namen vergessen, sind diese Informationen entweder gar nicht richtig im Kurzzeitgedächtnis angekommen oder dort eben aussortiert worden.
Die Merkfähigkeit des Kurzzeitgedächtnisses lässt mit steigendem Lebensalter nach. Zunächst sind die Grenzen zwischen „normaler“ Vergesslichkeit und einer beginnenden Demenz oder Alzheimer-Erkrankung fließend.
Deshalb ist ja eine fachgerechte Diagnostik so wichtig. Tatsächlich wirken hier mehrere Faktoren zusammen. Auch Nähstoffmangel oder eine Fehlfunktion anderen Organe können zu einem schlechten Gedächtnis führen. Je früher Sie darüber Klarheit haben, um so besser!
Das Langzeitgedächtnis bei Demenz
Das Langzeitgedächtnis ist der Speicherraum, der es möglich macht, jene Information festzuhalten, die wir in Zukunft vielleicht einmal benötigen.
Hier landen die Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis, die uns genau in diesem Augenblick als „bemerkenswert“ und markant erscheinen. Also die 10 Prozent, die für die jeweilige Person relevant sind.
Das Langzeitgedächtnis speichert dann dauerhaft alles, was der Mensch erlebt und gelernt hat:
- Erinnerungen an selbst erlebte Ereignisse und Momente, z. B. den ersten Schultag
- Fakten über die Welt, z. B.: Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland
- erlernte Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bewegungsabläufe wie die Fertigkeit, Fahrradfahren zu können oder die Fähigkeit, Dinge, Personen und Orte wiederzuerkennen
Experten sprechen dabei vom episodischen Gedächtnis (1), vom semantischen Gedächtnis (2) und vom impliziten Gedächtnis (3).
Die Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses ist unbegrenzt. Die Aussage, dass wir Menschen nur 5 oder 10 Prozent unseres Gedächtnisses nutzen würden, ist dagegen eine unbewiesene Legende.
Eng mit diesen Gedächtnisleistungen verbunden ist die sogenannte fluide Intelligenz. Damit bezeichnet man
- die Lern- und Denkfähigkeit,
- Problemlösungskompetenzen,
- logisches Denken sowie
- die Denkgeschwindigkeit.
Das Langzeitgedächtnis bleibt bei Menschen mit Demenz lange Zeit weiterhin erhalten. Ich erinnere mich an eine Betreuungsstunde. Herr Schneider (das war natürlich nicht sein richtiger Name) erzählte begeistert von einer Kahntour im Spreewald. Als ich der zurückgekehrten Ehefrau davon berichtete, staunte sie: „Wir waren letztes Wochenende im Spreewald. Dass er das noch weiß!“ Ich musste sie enttäuschen. Herr Schneider hatte von einem Urlaub kurz nach seiner Hochzeit vor über 50 Jahren erzählt.
Die Fähigkeiten des Langzeitgedächtnisses verbunden mit der Kompetenz, Probleme zu lösen (die bei den Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist) entscheiden letztendlich über den Erhalt der Alltagkompetenz. Diese ist ein wesentlicher Gradmesser dafür, ob eine Person mit Demenz weiterhin zu Hause leben kann oder nicht.

Gibt es Studien zur Wirksamkeit von Gedächtnistraining bei Demenz?
Die Pioniere in der Erforschung der Wirksamkeit von kognitiven Übungen waren vor mehr als 25 Jahren Prof. Dr. med. Hannes B. Stähelin und Doris Ermini-Fünfschilling. Ihre Basler Studie zeigte, dass multimodales Gedächtnistraining, das auf individuelle, alltagsrelevante Themen zugeschnitten ist, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen signifikant erhöht.
Wichtig ist dabei, die richtige Anwendung, die den Übenden nicht unter Zeit- oder Erfolgsdruck setzt.
In dieser Studie blieben Gedächtnis-Leistung und MMSE-Wert der teilenehmenden Personen mit Demenz über den gesamten Studienzeitraum von einem Jahr konstant. Die Gedächtnisleistung der nicht übenden Kontrollgruppe dagegen verschlechterte sich signifikant.
Dr. Gujer (Bern) stellte 2009 in einer viermonatigen Studie sogar eine Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit und – das ist wohl noch wichtiger – der Lebensqualität fest.
Aktuell sucht die Universität Bern übrigens Probanden für eine Studie, um die Frage zu beantworten: KANN SPIELEN AM TABLET SPASS MACHEN UND DAUERHAFT DIE GEDÄCHTNISLEISTUNG TRAINIEREN?

Welche Ziele hat Gedächtnistraining für Menschen mit Demenz?
Bereits ab dem 25. Lebensjahr nimmt die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ab, wenn wir nichts dagegen unternehmen.
Manche Autoren vergleichen das Gedächtnis mit einem Muskel. Die Idee dahinter ist, dass die richtigen Übungen und regelmäßiges Training dabei helfen, unsere Merkfähigkeit und Konzentration zu stärken, das logische und zusammenhängende Denken zu trainieren und unsere Urteilsfähigkeit zu verbessern.
Wer sein Gehirn fordert, aktiviert wir neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die ein Netzwerk bilden. Wer frühzeitig mit dem Training beginnt, schafft durch mentales Training eine Art geistige Reserve.
Dabei sind die Ziele der Übenden individuell. Sie wollen
- ihre vorhandenen Gedächtnisfähigkeiten erhalten oder weiter verbessern,
- den Wortschatz erhalten oder vergrößern,
- Spaß am Entdecken neuer Erkenntnisse haben,
- Langeweile verhindern,
- persönliche Erfolgserlebnisse spüren,
- Demenz vorbeugen oder den Krankheitsverlauf verlangsamen.
Gedächtnistraining hilft in jedem Fall: Bei einem Hirnabbau können Menschen mit einer größeren geistigen Reserve den Abbauprozess länger kompensieren.
Welche Funktionsbereiche kann man mit Menschen mit Demenz trainieren?
Viele Menschen denken vor allem an das Training der Merkfähigkeit. Schließlich fallen hier die Defizite des Kurzzeitgedächtnisses zuerst auf. Dabei kann gutes Training so viel mehr.
Gedächtnistraining mit Menschen mit Demenz sollte in erster Linie dem Erhalt der Alltagskompetenz dienen. Denn gerade die Alltagskompetenz ist unmittelbar mit der selbst empfundenen Lebensqualität verbunden.
Mit den entsprechend ausgewählten Übungen erreichen Sie auch
- eine Steigerung der Konzentration,
- die Verbesserung der Denkleistung und -geschwindigkeit,
- die Verbesserung des Urteilsvermögens,
- das Training Ihres logischen Denkens,
- die Steigerung der Lern- und Aufnahmefähigkeit,
- eine Verbesserung der Wahrnehmung,
- die Erhöhung der Denkflexibilität und
- das Training der Problemlösungskompetenz.
Was sollte man beachten und wo finden Sie die besten Übungen?
Mit diesen Fragen beschäftige ich mich in einem zweiten Artikel. Dort habe ich gleich 12 praktische Anregungen für Sie zusammengestellt.
Pflegezeit ist Lebenszeit.
Ihre Demenzberaterin
