Studien haben es bewiesen: Regelmäßiges Gedächtnistraining erhält oder verbessert sogar die Leistungsfähigkeit des Gehirns.

Im Teil 1 habe ich Ihnen beschrieben, wie das Gedächtnis arbeitet und welche Studien es zum Gedächtnistraining für Menschen mit Demenz gibt.

Jetzt geht es an die Umsetzung.

Übungsumgebung gestalten

(1) Lassen Sie sich vom Raum unterstützen

Zunächst einmal gelten die ganz normalen Regeln: Menschen mit Demenz mögen Klarheit. Schaffen Sie eine ruhige Atmosphäre. Ein nebenbei laufender TV- oder Radiosender stört ebenso wie ein „Arbeitsplatz“, auf dem ein Durcheinander herrscht.

Eine ruhige, angenehme Atmosphäre dagegen trägt dazu bei, dass sich die Übenden viel besser auf die Aufgaben konzentrieren können.

(2) Nehmen Sie sich genügend Zeit

Auch wenn die Empfehlung lautet, Gedächtnistraining bei Demenz und generell lieber regelmäßig für 10 bis 15 Minuten zu üben als alle paar Wochen für eine Stunde, sollten Sie die Übungen auf eine Zeit legen, in der Sie beide oder ihr Angehöriger sie in Ruhe ausführen kann.

Beobachten Sie einmal, wie es Ihrem Angehörigen nach dem Training geht. Viele Pflege-Einrichtungen legen ihre ergotherapeutischen Angebote mit Bedacht auf die Zeit vor dem Mittagessen. Der Effekt ist nämlich, dass die Bewohner*innen dann viel wacher sind und Menschen mit fortgeschrittener Demenz weniger Unterstützung beim Essen benötigen.

Es gibt eine demenzspezifische Intervention, die dafür gern genutzt wird. Im Teil 3 der Serie über Gedächtnistraining bei Demenz (die ich demnächst schreiben werde) dreht es sich dann um das bewährte Modell der „10-Minuten-Aktivierung“ nach Ute Schmidt-Hackenberg.

(3) Aufgaben richtig erklären

Erklären Sie die Aufgabenstellung in einfachen Worten. Kurze Sätze sind für Menschen mit Demenz besser als lange Erklärungen.

Machen Sie transparent, wofür die Übung gut ist. Geht es um die Konzentration, die Schnelligkeit oder um die Merkfähigkeit. Sofern ein Mensch in der Lage ist, dieses Anliegen zu erfassen, hat er auch das Recht, davon zu erfahren. Vor allem aber sollen die Übungen Spaß machen.

Vergewissern Sie sich, dass die Übung von dem Betroffenen verstanden wurde. Lassen Sie zu, dass aus einem Missverständnis neue Übungsvarianten entstehen, wenn Ihr Angehöriger das möchte.

Herr M. war Kapitän. Als er das erste Mal die Gruppe besuchte, missverstand er die Aufgabe, die Zahlen der Reihe nach zu verbinden. Stattdessen hatten wir am Ende eine wunderbar Übersicht über die Stationen der Elbe-Schifffahrt.

Passende Übungen

(4) Den richtigen Schwierigkeitsgrad finden

Beobachten Sie, welche Übungen Ihrem Angehörigen Spaß machen und welche ihn eher frustrieren. Aufgaben die zu leicht sind, erscheinen möglicherweise „kindisch“ und beleidigen eher, als sie motivieren. Aufgaben, die zu schwer sind, können Stress auslösen. Brechen Sie ab, wenn der Schwierigkeitsgrad zu hoch ist. Unser Gehirn arbeitet im Freude-Modus viel besser als im Stress-Modus.

Ich hatte für meine Gruppe ein Sprichwort-Spiel gebastelt. Dafür hatte ich circa 100 Sprichwörter gedruckt, halbiert und laminiert. Sprichwörter funktionieren tatsächlich immer prima, oft auch noch im fortgeschrittenen Stadium.

 

„Es ist nicht alles Gold …“ „… was glänzt“

Nach einer Weile hatte ich den Eindruck, es wäre für die Teilnehmenden viel zu leicht. Das war es vermutlich auf, aber da sie im Wettbewerb miteinander standen, machte es viel Spaß. 

Ich aber wollte den Schwierigkeitsgrad steigern und begann, den zweiten Teil des Sprichworts vorzulesen, um nach dem Anfang zu suchen.

 

 

„… fällt selbst hinein!“

Tatsächlich und für mich erstaunlich, gelang es auch bei einfachen Sprichwörtern nicht, den Anfang zu finden. Der Impuls, der für den Abruf im Hirn sorgt, fehlte einfach. 

In so einem Fall ist es das Beste, einen Gang herunterzuschalten. Ich habe die Karten auf den Tisch gelegt, im übertragenen und im eigentlichen Sinne. Also ich habe mich für meine komische Idee entschuldigt und wir haben die Karten auf dem Tisch zugeordnet, Satzanfänge zu Satzenden. „Versuch …“ „… macht klug!“

Im Laufe der Zeit werden Sie die Übungen immer wieder anpassen müssen. Denn es kann sein, Ihr Angehöriger hat so viel Freude an den Übungen, dass Sie das Level leicht anheben können. Es kann aber auch sein, dass sie Aufgaben vereinfachen oder weglassen müssen, wenn die Krankheit voranschreitet.

(5) Trainieren Sie Ihr Gedächtnis spielerisch

„Aus der Gehirnforschung weiß man, dass völlig absichtsloses Spielen für die besten Vernetzungen im Gehirn sorgt“, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther.

Spielen gehört auch zu den wichitigen Interaktionen im person-zentrierten Ansatz. 

Letztendlich geht es nicht um Richtig oder Falsch. Wie beim Spiel geht es bei dieser Art von Gedächtnistraining um spielerische Angebote, mit denen der Mensch mit Demenz sein Potential ausschöpfen kann und so Erfolgserlebnisse verbuchen kann.

(6) Biografische Bezüge herstellen

Die besten Übungen haben etwas mit der Biografie des Demenzerkrankten zu tun. Manchmal ist es also sinnvoll, eine Übung so abzuwandeln, dass die Übenden leicht abrufbare Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis mit dem eigentlichen Übungsziel (zum Beispiel Konzentration) verbinden können. 

Probieren Sie es doch gleich mal aus. Nehmen Sie acht Wörter aus der Biografie Ihres Angehörigen und gestalten Sie daraus ein „Suchsel“.

Hier geht es zur Suchsel-Bastelmaschine. Wählen Sie anfangs unbedingt den Schwierigkeitsgrad „leicht“.

Oder gestalten Sie mal selbst ein Memory mit Familienbildern. Dafür brauchen Sie Fotos auf denen die Personen oder Orte gut erkennbar sind, aber keine besonderen Fähigkeiten. Das Programm ist wirklich selbsterklärend.

Üben mit allen Sinnen

(7) Gilt auch beim Gedächtnistraining: Vermeiden Sie Stress

Das hat gar nichts mit der Demenz zu tun, sondern mit hormonellen Vorgängen im Körper.

Egal, wie alt jemand ist, wenn Stresshormone ausgeschüttet werden, schaltet der Körper in den Flucht- oder Kampfmodus. Das sind in der Evolution Situationen gewesen, wo man den Kopf nicht brauchte, sondern schnelle Beine oder starke Fäuste.

Daher plädiere ich für einen entspannten spielerischen Ansatz. Nach dem Motto: „Also ich weiß auch nicht, wie das hier richtig ist. Willst Du mir helfen?“

(8) Lob tut auch Menschen mit Demenz gut

Und ganz wichtig: Am Ende IMMER loben, entweder für den Erfolg oder für die Anstrengung oder die geschenkte Zeit.

Freuen Sie sich gemeinsam über die Erfolge. Damit stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihres Gegenübers. Entwickeln Sie dafür ein kleines Ritual.

Wir singen manchmal „So sehen die Sieger aus! Scha-la-la-la!“

Gerade Menschen mit beginnender Demenz erleben so viele kleine und große Misserfolge in ihrem Alltag, dass jede Stärkung des Selbstwertgefühls willkommen ist.

Eine andere Möglichkeit, die wir gern nutzen, ist, sich für die Erfolge auf die Schulter zu klopfen. Meine Gesprächsgruppe freut sich über den Satz: „Wir klopfen uns auf die Schulter, bis das Herze lacht!“ 

(9) Potentiale stärken – Defizite links liegen lassen

Im lösungsorientierten Coaching sagen wir: „Wenn etwas nicht funktioniert, probiere etwas anderes. Wenn etwas gut funktioniert, mache mehr davon!“

Beobachten Sie, welche Übungen Ihr Angehöriger gerne macht. Es geht nicht darum, Defizite zu beheben. Damit frustrieren Sie Ihren Angehörigen und sich selbst. 

Auch mit den ausgefeiltesten Übungen werden Sie das Kurzzeitgedächtnis nicht reparieren können. Darum geht es nicht. Es geht um den soliden Versuch, den Staus Quo so lange wie möglich zu erhalten. Sollte es es dennoch eine kleine Verbesserung geben, so begrüßen Sie sie freudig, aber ohne Erwartungsdruck aufzubauen.

Freuen Sie sich über das, was gut funktioniert. So stärken sie die Potentiale, die letztendlich auch im Alltag außerhalb von Übung und Spiel wichtig sein können.

Aufgaben finden

(10) Gedächtnistraining bei Demenz mit allen Sinnen

Augen

Die Übungsblätter dürfen schön gestaltet sein. Wobei schön auch „klar“ heißen sollte. Aber wenn Sie den 99. Abzug einer schlechten Kopie nutzen, bleibt der Spaß für die Augen auf der Stecke.

Ohren

Hier ist weniger mehr. (Siehe Punkt eins) Auf einem der letzten Alzheimer Kongresse beeindruckte mich eine Musiktherapeutin, die über den Wert der Stille sprach. Gegen gemeinsames Singen ist dagegen gar nichts einzuwenden. 

Ich hatte vor einigen Jahren ein Rummy-Spiel gekauft, dessen Spielsteine aus einem seltsam leichten Plastik waren und die beim Aneinanderstoßen und beim Ablegen furchtbare Klack-Geräusche machten. Davon haben wir uns ganz schnell wieder verabschiedet.

Mund und Nase

Wann immer es sich anbietet, können Sie auch diese Sinne nutzen. Zum Beispiel beim Obst-Salat-Spiel, für das wir in der Betreuungsgruppe eine Variante im Sitzen gefunden haben und anschließend auch gerne einen echten Obstsalat anbieten.

Haptik

Alle Spiel- und Übungsmaterialen sollten gut greifbar sein.

Ich habe bei eBay ein scheinbar wunderbares altmodisches Frage-Antwort-Spiel erworben. Doch leider sind die Kärtchen so winzig klein, dass es eine Zumutung für Hand und Auge ist. Da blieb mir nichts anderes übrig als das Ganze noch einmal selbst „nachzubauen“.

Gewohnheiten

Auch Gewohnheiten spielen hier eine Rolle. Ich habe in der Gesprächsgruppe Menschen, die auch privat sehr gerne mit dem Tablet oder Smartphone arbeiten.

An dieser Stelle sende ich einen Gruß an Herrn R., der sich weigerte zur Kurzzeitpflege zu gehen, weil es für ihn da kein WLAN gab. 🙂

Für diese Menschen gibt es viele Apps, mit denen sie ihr Gedächtnis trainieren können. Für andere Menschen ist die Technik eine zusätzliche Hürde. Dann ist es besser, die Aufgaben auf Papier auszudrucken. 

(11) Gedächtnistraining bei Demenz regelmäßig durchführen

Üben Sie regelmäßig, am besten jeden Tag. Schauen Sie, wo Sie im Alltag eine Übungseinheit einbauen können. Machen Sie ein kleines entspanntes Ritual daraus, zum Beispiel mit einer Tasse Tee.

Eine gute Möglichkeit ist es, eine andere (geeignete) Person zu engagieren, zum Beispiel ein Enkelkind (je nach Alter mit Ihrer Unterstützung oder selbständig) oder eine geschulte Seniorenbegleiterin. 

Überlegen Sie, zu welcher Tageszeit der Mensch mit Demenz seine beste Leistungsfähigkeit hat. Bei vielen Menschen ist das der späte Vormittag. Oder nutzen Sie die Übungen um die „blaue Stunde“ am Nachmittag, also eine Zeit wo der Betroffenen vielleicht etwas unruhiger ist, zu entspannen. Vermutlich können Sie am Vormittag schwierigere Aufgaben lösen als am Nachmittag. Beobachten Sie das und passen Sie das Übungsniveau an.

Ein großer Vorteil, das werden Sie bemerken, ist, dass Ihr Angehöriger im Anschluss an die Übungen oft wacher und aufmerksamer ist. 

(12) Gedächtnistraining Übungen für Senioren und Menschen mit Demenz finden

Vielleicht haben Sie keine Lust oder Zeit sich immer wieder selbst Übungen auszudenken. Ich persönlich liebe es, was Sie sicher bemerkt haben, wenn Sie den Adventskalender nutzen. Demnächst wird es auch einige Pdfs dazu geben. Mir persönlich fehlt eher die Zeit als Lust und Ideen.

Jede Menge Sprichwörter finden Sie hier bei Wiki Quote, einem Ableger von Wikipedia. 

Auch Übungen zum Gedächtnistraining gibt es massenweise (und in recht unterschiedlicher Qualität) im Netz. Ich persönlich mag die Übungen der Gesellschaft für Gehirntraining, weil diese Aufgaben wissenschaftlich fundiert gestaltet und von Fachleuten geprüft sind und klar ist, welche Denk-Fertigkeiten trainiert werden sollen. Diese Übungen wurden nicht speziell für Menschen mit Demenz entwickelt, sind aber gehirngerecht.

Die Alzheimer Gesellschaft Niedersachsen hat mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse die App Auguste entwickelt, die Sie kostenfrei in Ihrem App-Store herunterladen können. Leider gibt es keine Online- oder Desktop-Version. Aber fürs Tablet und fürs Smartphone funktioniert sie sehr einfach.

Wer etwas komplexer mag, probiert den kostenlosen Zugang zur App Neuronation. Hier gibt es auch ein kostenpflichtiges Abo-Modell, bei dem die Übungen dann individuell auf das Leistungsniveau des Übenden angepasst werden.

Last but not least, empfehle ich Ihnen die Anmeldung zu meinem Newsletter. Denn auch da finden Sie immer wieder Anregungen für leicht umsetzbare Übungen.

Pflegezeit ist Lebenszeit.

Ihre Demenzberaterin

Demenzberaterin Eva Helms