Wie sprechen wir über Demenz und wie sprechen wir mit Menschen mit Demenz? Das Thema Sprache und Demenz beschäftigt mich schon lange Zeit sowohl in Bezug auf Verständlichkeit als auch um Wirkung.

„Sprache ist nicht bloß ein praktisches Werkzeug, das wir zu kommunikativen Zwecken nutzen können, nein, sie ist fähig dazu, unsere Vorstellungskraft zu beeinflussen.“ sagt Svenja Gräfen in ihrem Buch „Selbstfürsorge. Jetzt!“

Das betrifft Menschen mit Demenz und ihre Begleiter*innen und Pflegenden und am Ende uns alle als Gesellschaft. Worte sind mit Gedanken, Bildern und Gefühlen verknüpft und beeinflussen unseren Umgang mit Demenz.

Frank Kafka schreibt 1921 in sein Tagebuch (und das ist eine meiner Lieblingsstellen):

Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie.

Verbindung von Sprache – Denken – Tun

Sprache und Denken sind eng miteinander verbunden. Wir erzählen uns (und anderen) Geschichten darüber, wer und wie wir sind und wie die Welt ist (naja, eigentlich, wie wir die Welt sehen).

 

 Dabei gehen wir davon aus, sagt Svenia Gräfen, dass wir diese Gefühle, Gedanken und Geschichten sind, dass sie uns ausmachen und die einzig gültige Wahrheit darstellen. »Ich werd immer sofort krank«, »Ich bin immer das Opfer«, »Ich kann niemandem vertrauen«, »Ich bin nicht gut genug«, »Ich gebe immer zu wenig«, »Alle anderen haben es immer leichter als ich« – so entstehen Muster und Glaubenssätze, die unser Leben bestimmen.

Ob wir nun 60.000 Gedanken am Tag denken (wie einige Quellen behaupten) oder nur 6.000, die wenigsten davon sind neu. Im Gedankenkarusell begleiten uns immer wieder die gleichen Geschichten. Und auf diese Weise schaffen die es, zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden. 

Coaching ist dazu da, das Gedankenkarusell anzuhalten und abzuwägen. Welchen Glaubenssatz behalte ich, weil er mir weiterhin nützlich ist? Welchen Gedanken darf ich loslassen? Glaube nicht alles, was Du denkst, lautet eine Weisheit, die verschiedenen Personen zugeschrieben wird, unter anderem Byron Katie und dem Mönch Haemin Sunim.

Im Coaching beginnen wir, unsere Geschichten auf eine neue Art und Weise zu erzählen.

 

Demenz Sprache reframing

Der Blickrichtungswechsel – positive Sprache für Menschen mit Demenz

Ich lernte das Ehepaar S. auf einer einwöchigen Auszeit für Paare kennen, die ich organiert hatte. Frau S. kam gleich nach der Ankunft auf mich zu und erklärte: „Ich weiß gar nicht, ob wir die ganze Woche dabei sein können. Mein Mann hat immer so viel Angst. Er hat Angst, dass er sich nicht zurechtfindet, er hat Angst, dass unser Geld nicht reicht, er hat Angst, dass ich ihn ins Heim abschiebe. Immer diese Angst! Ich sag ihm: Hans, Du musst doch keine Angst haben! Aber es hilft nichts.“

Ja, ich verstehe, antwortete ich, ihr Mann braucht ganz viel Sicherheit. Er möchte die Kontrolle behalten und sicher sein, dass alles in Ordnung ist.

Frau S. war eine kluge Frau, sie merkte selbst sehr schnell den Unterschied. Sagt sie ihrem Mann: „Hab keine ANGST“, dann bleibt eben doch nur das Wort Angst und die damit verbundenen Bilder und Gefühle bei ihrem Mann haften. Ganz anders als bei dem Satz: „Es ist alles in ORDNUNG.“

Und auch mit ihr selbst machte diese Umdeutung (im Coaching Reframing genannt) etwas. Sie begann, sich selbst nicht mehr zu sagen, „mein Mann hat immer so viel Angst“ sondern stattdessen „mein Mann braucht sehr viel Sicherheit“. Mit diesem Blickrichtungswechsel war sie in der Lage, bestimmte Situationen für ihrem Mann vorausschauend zu entschärfen. 

Anders als die anderen Paare bewohnten die beiden auf Wunsch der Frau kein Doppelzimmer sondern zwei nebeneinander liegende Einzelzimmer, so wie sie auch zu Hause getrennte Schlafzimmer hatten. Bereits bei der Ankunft hatte Frau S. an die Außenseiten der Zimmertüren auf großen Blättern „Hans“ und „Silvia“ geschrieben. Nun ergänzte sie eine Notiz auf auf der Innenseite: „Lieber Hans, ich bin nebenan. Es ist alles in Ordnung. Silvia“

Und im übrigen konnten beide die volle Woche genießen, denn das Personal und alle Teilnehmer*innen waren informiert, dass Hans ganz viel Sicherheit braucht.

Gewalt in der Sprache - Demenz

Krieg und Gewalt in der Sprache

„Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank“ titelte die Süddeutsche im März 2022. Tatsächlich ist unsere Alltagssprache durchzogen mit Begriffen, die ursprünglich aus militärischen Kontexten stammen.

Ich habe jetzt ein kleines Attentat auf Sie vor und hoffe, dass Sie mit derlei Wortklauberei nicht auf Kriegsfuß stehen, auch wenn ich mich im Eifer des Gefechts mit diesen 08/15- Redewendungen völlig verfranze. Denn dann wäre ich wirklich am Boden zerstört. Jetzt lassen Sie uns hier einen flüchtigen Blick darauf werfen.

Unter Bombenwetter verstand man im ersten und zweiten Weltkrieg keinesfalls einen supersonnigen Sommertag, sondern eine Wetterlage, bei der die Bombenflugzeuge ihre Ziele klar erkennen konnten. Und auch, wenn Sie sich fühlen, als würden Sie mal wieder an allen Fronten gleichzeitig kämpfen, ist der Krieg unbewusst in ihrer Sprache angekommen.

Tief in unserem Unterbewusstsein werden mit diesen Redewendungen Gefühle und Bilder verknüpft, die nicht positiv sind. Noch stärker wirken sie bei den alten Menschen, die den Krieg als Kinder oder Jugendliche erlebt haben.

Leider ist auch die Medizin voller verletzender Redewendungen. Da wird der Krankheit der Krieg erklärt, der Kampf gegen die Demenz verloren, weil die Krankheit das Gedächtnis zerstört.

Und auch gesellschaftlich stellen wir uns Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Corona als Feinde vor, die es zu bekämpfen gilt.

Ich möchte zum Nachdenken darüber anregen, wie sich ein Mensch fühlt, der den Feind in seinem Kopf (oder im Falle einer anderen Erkrankung im Körper) hat und der ständig gegen etwas ankämpfen muss.

Im letzten Blogartikel zum Thema Kriegsenkel und Elternpflege habe ich mehr über die langen Schatten der Vergangenheit geschrieben.

Der Linguist Dominik Hetjens von der TU Dresden sagt in dem eingangs erwähnten Interview der Süddeutschen:

»Man muss keine Liste von Unwörtern machen. Aber wenn Menschen jetzt über ihre Alltagssprache erschrecken, zeigt das ja, dass sich etwas verändert.« Man könnte sich in einem Gespräch oder beim Schreiben einer Mail kurz überlegen: Was für eine Stimmung erzeuge ich?

Salutogenese Demenz Gesundheit

Das Wörtchen „noch“

Ich habe mir vorgenommen, das Wörtchen „noch“ in Verbindung mit Krankheitssymptomen zu vermeiden.

– Können Sie noch lesen?
– Finden Sie noch allein nach Hause?
– Dürfen Sie noch Autofahren?
Hier signalisiert das Wort „noch“ bewusst oder unbewusst, dass ich erwarte, dass die entsprechende Fähigkeit demnächst verloren gehen wird.
Es gehört zum Krankheitsbild, dass im Verlauf der Erkrankung diese Fähigkeiten verloren gehen können. Doch hier geht es um die Frage der inneren Einstellung. Ich könnte nämlich genau so gut sagen oder fragen:
– Ich habe hier etwas über xy zu lesen. Möchten Sie, dass ich Ihnen etwas  dazu erkläre?
– Brauchen Sie Unterstützung für den Heimweg?
Und das Autofahren – das ist so eine Sache für sich, dazu habe ich einen ganzen Blogartikel geschrieben, den können Sie hier nachlesen.
Sprache Demenz Wohlfühlwörter

Wohlfühlwörter

Im Online-Coaching sprach ich neulich mit einer Klientin darüber, wie wir wieder mehr Wohlfühlwörter nutzen könnten. Auch das gehört für mich zur Selbstfürsorge. 

Es gibt sie ja auch, die anderen Wörter, die sich anfühlen wie eine Kuscheldecke. Wörter aus unserer Kindheit oder aus einem Gedicht, einem Song oder einer Geschichte. Wörter, die die Welt weiter machen oder bunter oder sanfter. Die uns ein Stück von dem zeigen, was Kafka mit der Herrlichkeit des Lebens meinte.

Und weil ich meine und unsere Alltagssprache gern mit solchen Wohlfühlwörtern anfüllen möchte, gibt es ab Sonntag im Adventskalender meine liebsten Worte Tag für Tag.

Und ab Januar habe ich auch wieder einen freien Platz bei mir im Online-Coaching. Bei Interesse schreiben mir eine Mail, dann telefonieren wir und schauen, ob es passt.

Haben Sie ein Lieblingswort? Dann schreiben Sie es gerne in die Kommentare. Unter allen Einsendungen (Kommentare im Blog, bei Instagram und Facebook) verlose ich am 27.12.22 eine kleine Überraschung.

Pflegezeit ist Lebenszeit.

Ihre Demenzberaterin

Demenzberaterin Eva Helms